Im Spritzenhaus Unkeroda ist die Glühbirne kaputt

Feuerwehrgeschichten gibt es viele. Horst Anschütz aber kann eine erzählen, die um 1880 begann. Sein Urgroßvater war Orts-, später Bezirksbrandmeister. Den Bewerbungsbrief von damals hat Anschütz noch.

Von Milina Reichardt-Hahn

Bad Salzungen – „Wohllöblicher Magistrat der Stadt Salzungen“ – so fingen Bewerbungsschreiben früher an. Otto Diedrich zumindest bewarb sich damit am 7. Januar 1888 auf die Stelle des Ortsbrandmeisters. Mit dem „gehorsamsten Gesuch“ erlaubte er sich, seine Dienste dem wohllöblichen Magistrat anzubieten. Damals war es noch eine Ehre, diesen Job zu machen, und heute sei man froh, wenn sich überhaupt jemand dafür findet, sagt Horst Anschütz. Er ist der Urenkel von Otto Diedrich und hat dessen Briefe und Bewerbungsschreiben noch vorliegen. Anschütz gehört selbst seit 1971 zur Feuerwehr. Die Verbindung dazu habe eine lange Tradition in seiner Familie, sagt er. Eine Generation wurde übersprungen – sein Sohn habe beruflich zu viel zu tun. Doch Anschütz‘ Enkel sei heute wieder bei den Kindern dabei.  Sechs Generationen vorher, zur Zeit von Otto Diedrich, war in Salzungen dem Stadtbrandmeister gekündigt worden. Der Magistrat war wohl nicht mehr einverstanden mit ihm, vermutet Anschütz. Otto Diedrich geht dagegen davon aus, dass er die Stelle „zur Zufriedenheit der löblichen städtischen Behörden und der hiesigen Einwohnerschaft verwalten“ könne.

Rundbriefe, Listen, Zeitungsseiten: Mit den Schriftstücken kann Horst Anschütz vieles aus der Dienstzeit seines Urgroßvaters rekonstruieren. Fotos: Heiko Matz

Kommandieren gewöhnt
Im Anschreiben fasst er seinen Lebenslauf zusammen: Geboren 1857 zu Gumpelstadt, ging 1879 bei „Schreinermeister Hagelganz“ in die Lehre; danach verbrachte er zwei Jahre beim Militär, im Jägerbataillon zu Marburg. Dort habe er sich ans Kommandieren gewöhnt. Das könnte ihm auch als Brandmeister helfen, schreibt Otto Diedrich. Überhaupt habe sich sein Urgroßvater gut durchsetzen können, erzählt Horst Anschütz. Es war zwar ein kleiner Kerl, er hatte einen langen weißen Bart, aber dort, wo er hinkam, wurde es mucksmäuschenstill. Gefürchtet soll er gewesen sein. Die meisten Geschichten hat Anschütz von seiner Mutter gehört.
Sie hat eine besonders schöne Erinnerung an ihren Großvater und die Feuerwehr: Sonntags pflegte er als Bezirksbrandmeister die Feuerwehren zu kontrollieren. Ohne Anmeldung, damit er wirklich rausbekam, was dort los war. Für Marie, Horst Anschütz‘ Mutter, hieß das: Spazierengehen mit Opa. Zu Hause trug er dann alle seine Beobachtungen in Feuerwehr-Bücher ein: Im Spritzenhaus Unkeroda ist die Glühbirne kaputt, zum Beispiel. Von dort, von Unkeroda, reichte sein Bezirk bis Kaltennordheim. Auch sämtliche Brände, die in diesem Gebiet passierten, notierte er im Brandbuch, das er angelegt hatte.

Zwei Tage lang Feuer
Schriftlich festgehalten hatte er auch, welche Wehr wohin zum Einsatz fahren sollte. Horst Anschütz hat die Liste noch. War der Brand zu groß – wie in Brotterode, etwa 1890, schätzt Anschütz, mussten sich natürlich alle verfügbaren Feuerwehren aufmachen. Mit Pferdefuhrwerken seien sie damals von Salzungen aus gefahren. Die Tiere mussten zwischendurch gewechselt werden, der Weg war lang. Zu spät kamen sie trotzdem nicht. Das Feuer in der Rennsteigstadt dauerte zwei ganze Tage. Angefangen habe es mit zwei Kindern, die eine Forelle gefangen und gebrutzelt hätten.

Sirene nach dem Tod
Sein Urgroßvater, damals Ortsbrandmeister von Salzungen, geriet in die Kritik: Im Salzunger Tageblatt, Ausgabe vom 28. November 1911, beschwerte sich ein Langenfelder über ihn. Prompt stand am Tag darauf eine Replik in der Zeitung. Ohne Namen zwar, aber Anschütz’ Mutter und Großmutter gingen davon aus, dass Diedrich es selbst hineingesetzt hat. Mit 73 wurde er Ende der 1920er-Jahre als Bezirksbrandmeister abgelöst. Er schimpfte damals, dass man ihn abgewählt hatte, sagt sein Urenkel. Noch dazu vor dem großen Feuerwehrverbands-Treffen 1930, für das sogar die Stadttore wiederaufgebaut worden waren. Diedrich stand zu Hause, in seiner Uniform und wartete auf den Umzug. Als der kam, erspähte ihn sein Nachfolger und rief: „Otto, mach dich hierher!“ Da reihte er sich ein und konnte zufrieden mitmarschieren. Seine Frau soll gesagt haben: „Gott sei Dank, sonst hätten wir ’nen bösen Mann gehabt!“ Bei dieser Aktion soll sich Diedrich aber erkältet haben, erzählt Horst Anschütz. Wenig später starb er. In dem Moment als sein Sarg aus dem Haus getragen wurde, ging die Feuerwehr-Sirene los.

Quelle: insuedthueringen.de | Milina Reichardt-Hahn | Foto: Heiko Matz